Geschichten vom Sonntag. Vom Familientreffen in der rauchgeschwängerten Stube. Vom Pfarrer, der Bauern ermahnt, das Heu am siebten Tag der Woche nicht einzuholen. Von Ehrendamen, die einen «ruralen Stewardessen-Charme» ausstrahlen. Darüber erzählte Autor Pirmin Bossart in seiner Lesung. Musikalisch begleitet von Adrian Würsch, dem Virtuosen mit dem Schwyzerörgeli. Mal spielte dieser dezent im Hintergrund, mal pausierte er ganz, um danach alleine musikalisch auf die Anekdoten einzugehen. Im zweiten Teil setzte Würsch auch Elektronik ein – etwa, wenn es um einen Drogenrausch ging. Bossarts Texte beschreiben das Luzerner Hinterland der 1960- und 1970er-Jahre. Sie berührten die Anwesenden, weil sie Erinnerungen weckten. Sie sind weder pure Nostalgie und Lobgesang auf das Früher, noch ein Blossstellen der bäuerlichen Lebenswelt. Sie zeigen auf, wie es war, und enthalten immer wieder subtile Gegenwartskritik. Die sprachlich vielfältigen Inhalte und die dazu harmonierenden Klänge sorgten dafür, dass die Matinee «Der Sonntag und sein Henker» begeisterte.
Beim zweiten Act im Schloss Wyher hatten die Organisatoren ein Luxusproblem: Es gab zu wenig Stühle. Áed – altirisch für Feuer/Flamme, ausgesprochen wie das englische Wort Aid – lockten viele Zuhörende an. Das Quartett um Helen Maier (Stimme, Geige), Ilenia Ballacchino (Stimme, Bodhrán), Manuel Elias Büchel (Gitarre) und Jonas Künzli (Kontrabass) macht experimentelle keltische Musik. Eigenkompositionen spielt es genauso wie traditionelle irische Stücke. Neben den typischen Instrumenten verwendet es auch einige aus anderen Kulturkreisen. Etwa eine Toggenburger Halszither oder eine Shruti Box, eine Art indisches Harmonium. Mal waren die Stücke lebensfroh, mal irisch trübselig – stets überzeugten sie durch den Gesang, mitunter vierstimmig vorgetragen.
Für ein fulminantes Finale sorgte der Chor Männerstimmen Basel. Dessen immenses Klangspektrum packte die rund 270 Gäste in der Pfarrkirche von Anfang an. Im ersten Teil sangen die 22 Männer geistliche Lieder – im zweiten wandten sie sich weltlichen zu. Die Texte waren altslawisch, altisländisch, französisch oder deutsch. Inhaltlich ging es von der Entstehung der Welt über eine Ode an die Stadt Basel bis zur philosophischen Frage: Was ist ein Mensch? Um ziemlich viel also; um klassische wie auch zeigemässe Literatur. Der von Olivier Rudin geleitete Chor ist nicht nur musikalisch sehr beweglich, er ist es auch im wahren Sinn des Wortes: Bald waren die Sänger entlang den Wänden des Kirchenschiffs verteilt, bald sangen einige auf der Empore. Bisweilen unterstrichen sie Inhalte mit einem heftigen Tritt auf den Boden oder mit rhythmisch komplexem Klatschen. Die zweite lokalpatriotische Ode – an die Basler Fasnacht – untermalten sie pfeifend und erinnerten so an die charakteristischen Piccolos. Der langersehnte Auftritt der Männerstimmen bildete den krönenden Abschluss des 18. Stimmen Festivals Ettiswil. Die Gäste verdankten ihn mit stehenden Ovationen.
Das Fazit: Rund 1500 Personen haben elf Konzerte genossen. Die musikalische Vielfalt war einmal mehr gross, die Begeisterung der Besucherinnen und Besucher ebenso. Das neue Gastrokonzept hat sich bewährt und sorgte zusammen mit dem angenehmen Wetter für gemütliche Stimmung auf dem Schulhausareal. Wir freuen uns schon jetzt auf das 19. Stimmen Festival Ettiswil vom 18. bis 21. Mai 2023. (David Koller)