Die Musik von Nobody Reads ist wie ein gutes Tatar. Roh und vollendet. Das Duo mit Sängerin Sarah Reid und Gitarrist Nick Nobody eröffnet mit «Hotel Heartbreak 1», dem ersten Song, der überhaupt für das Projekt entstanden ist und fährt mit dem allerneusten weiter. Da ist alles dabei: Schärfe, Biss und ein Schuss Cognac. Man sich fallen lassen und landet geradewegs in eine 1980er-Corvette mit überhöhter Geschwindigkeit. So fühlen sich Verve und Drive dieses Duos an, wenn es auf die Tube drückt. Letzter Song «Call it Even», der in bester Weise an die McCartney-Rihanna-Kanye-Kollaboration «FourFiveSeconds» gemahnt: «Let Me Be a Tumor in Your Heart …»
Sängerin Yael Shoshana, die zusammen mit dem Gitarristen Gil Landau das Lola Marsh ist, schmückte die Bühne eigenhändig mit Blumen. Die israelische Antwort auf Lana del Rey, jedoch um einiges freundlicher und weniger abgründig als diese, hatte das Publikum vom ersten Ton an ganz bei sich. Ein Feelgood-Konzert im besten Sinn, mit Schrummelduellen (beim Nancy-Sinatra-Klassiker «These Boots Are Made for Walking»), einer englischsprachigen Version von Mani Matters «Hemmige», Publikumschörli und einer grossen Wärme auf beiden Seiten. In der ersten Reihe ein Fangrüppli, das alles mitsingen konnte – ausser jene Texte, die bereits wieder umgeschrieben wurden. In Ettiswil setzt Lola Marsh weniger Elektronika als auf dem Debüt-Album «Remember Roses» (2017) ein, was der Musik gut zu Gesichte steht. Sowieso soll hier angemerkt sein: sämtliche Konzerte waren besser, als die Tonträger. Was leider allzuoft umgekehrt ist. Zwei Songs zum nachhören: Das von Shoshana als schönster Song der Welt bezeichnete und von Lola Marsh gecoverte «Wicked Game» (hier in Originalversion von Chris Isaak, wir erinnern uns an Sailor und Luna in Lynchs «Wild at Heart»). Kurz dahinter (als schönster Song) Lola Marshs eigenes «The Wind»: «Asking me to stay awhile / For the love I feel for you / But the wind is changing /And the sea is raging».
Nachdem Yael Shoshana und Gil Landau alles hinweggefegt haben, liegt es an Ben Caplan mit seinem bodenständigen Americana, das Publikum «down to earth» zu holen. Treibende Gitarren jagen Worte wie junge Pferde über die Soundprärie, feinfühlige Balladen laden zur Rast, bis Caplan, seinem Namen alle Ehre machend, alles rundherum in Grund und Boden zu predigen beginnt, was am Ende des Konzerts mit stehender Ovation gewürdigt wird.
Zum Finale die grosse Honky-Tonky-Show: Gaby Moreno und Band haben Gäste aus Australien und Los Angeles dabei, mit denen sie seit drei Wochen durch Europa tourten (unter anderem eine sehr aufgedrehte Dannielle DeAndrea) und spielen ein abwechslungsreiches, mal räudig rockendes, mal intimes Set. Lateinamerikanische Klassiker wie «Quizás, Quizás, Quizás», «El Sombreron» (inspiriert von einer alten guatemaltekischen Legende, Morenos Grossvater spielte in der ersten Verfilmung mit), sowie eine umwerfende Version von «Cucurrucucu Paloma» (wir erinnern uns an Almodóvars «Hable Con Ella») gesellen sich zu Morenos eigenen Songs, die sich in dieser Gesellschaft pudelwohl fühlen. Bevor sich alle zusammen in einer Spelunke in New Orleans zu Dr. Johns «Iko Iko (Jock-A-MO)» besaufen – und tanzen bis in die Puppen.
Heute Sonntag ist bereits der letzte Festival-Tag. Gleich gehts weiter mit Arno Camenisch & Roman Nowka, Ursina und Calmus Ensemble.
Bilder: Ingo Höhn